Yusuf Morgenstern
 

beim Interview

Geschichten von den Unterhaltungen mit Menschen




Das Interview in dem ich nach Gemeinsamkeiten gesucht habe
oder warum ich das Kaiserreich plötzlich so cool finde

Nirgendwo in Brandenburg 2023 wache ich am ehemaligen Baggerloch 2-5-7 auf. In
meiner Hängematte zwischen dünnen Nadelbäumen verbringe ich die erste Nacht meines Interview-Urlaubs. Im geliehenen und vollgetankten Auto meiner Mutter fahre ich am Mittag umher: Jackpot! Erst Bungalows, dann eine Kaiserreichsfahne, unten ein Schild –Die Gedanken sind frei!- Ich fahre schnell weiter und ziehe mir ein Hemd an.
Ding-Dong.
Er, nennen wir ihn Hans, lässt mich mit schmuddeliger Jogginghose und nicht-so weißem Hemd durch sein Gartentor. Mein Blick fällt auf seine Halbglatze und den Adler vom Kaiserreich an der Heckscheibe seines Geländewagens. Hans ist um die 70 und hat eine Charlie Chaplin Statue im Vordergarten stehen. 

Mein Aufnahmegerät springt an


Hans: „Zuerst, zu aller Erst: Die Klimakleber, ist meine mein Meinung nach nich der richtige Wech.“


  • Ich: „Das heißt erstmal: es gibt n Klimaproblem. Und jetzt sind ja die Grünen an der Macht, oder in der Regierung zumindest…“


Hans: „Und machen och nischts Richtiges.“


  • Ich: „…machen auch nichts Richtiges [wir lachen]. Ja die Grünen sind auch nicht wirklich grün, ne?“


Hans: „Nee, die sind… Da haben sich viele was anderes erhofft. Im Vorfeld.“


  • Ich: „Und was glaubst du, wäre denn eine Möglichkeit, wenn diese Regierung die wir haben, nicht die Klimakrise angeht. Was gibt´s denn für Möglichkeiten sich als Bürger zu wehren?

Hans: „Ja, die können doch Demonstrieren aber nich auf die Art und Weise hier. Das … das kann doch nicht sein, die verschlimmern das doch eigentlich. Naja gucke mal die… ick hab im Interview gesehen wo ne Frau jesacht hat das die Klimaaktivisten das bezahlt kriegen was die machen. Die haben ja richtige Konten und das sind nicht bloß wenige. Die kriegen ja Geld dafür. Für mich ist das keen friedlicher Protest wenn ich ihn bezahlt kriege. Das ist erstmal schon Null. Da wird die Bevölkerung jetzt allgemein kein Verständnis für haben. Wenn sie jetzt wirklich dafür sind um was zu ändern… und dann setzen sie sich hin und kassieren Geld dafür? Das ist meiner Meinung nach eine Sauerei ohne Ende.“


  • Ich: „Aber Politiker kassieren ja auch Geld.“

Hans: „Viel zu viel. Das ist auch nicht richtig. Ja da müssen sie Anfangen. Die sollen... das hat doch… das hat doch mit Merkel anjefangen. „Wir schaffen das schon“. Ja wie können wa denn das schaffen. Unsere Kinder kriegen nich viel Geld, wa? Unsere Kinder… Kindergartenplätze gibs nicht.“ 


So…
Im Interview versuche ich auf die Ansichten und Meinungen der Leute einzugehen; Ihren Spuren zu folgen, um dann hoffentlich auf einen gemeinsamen Nenner zu stoßen. Hans aber ist ein geschickter Akrobat. Er windet sich aus meinen Fragen und Themen und gelangt damit immer wieder auf die Felder, in denen er sich auskennt.
Weiter.


Hans: „Ja uff een mal kam die Ausländer und dann warn Millionen da. Das ist doch nicht… das ist doch nicht… Keen Zustand für unsere Leute. Das ist doch gar nicht tragfähig sowas. Und vor allen Dingen, wir haben doch gesehen… meine Schwiegereltern waren Flüchtlinge. Das waren Flüchtlinge. Und keene
jungen Männer als Verbrecher getarnt. Das sind doch keine Flüchtlinge was hier ankommt. Das sind keine Flüchtlinge. Wo sind denn da die alten Leute, die Kranken und die Frauen und Kinder. Wo sind die denn? […] etliche Anlaufstellen wollen sie wieder neu machen jetzt. Na, was kommt da? Zweehundert Männer. Ja was denkste was hier mal passiert? Brauchn ma gar nich drüber redn. Umsonst haben die Leute keine Angst. Ein Ort mit Hundertdreißig Bürgern soll Zweehundert Flüchtlinge aufnehmen. Kein
Zustand!“


  • Ich: „Ist kein Mengenverhältnis ne?“

Hans: „Ist überhaupt nicht… Das geht gar nicht. Die Leute haben einfach Angst. Und die fangen sich jetzt an zu wehren aus Angst. Die haben nicht alle mit irgendwelche Flüchtlinge n Problem und sehen das so. Aber die habn Angst. Die Leute haben richtige Angst.“


In dieser Phase hab ich versucht mir vorzustellen wie es sich für Hans wohl anfühlt in dieser Angst zu leben. Das da Tausende kommen die gewalttätig, kriminell, gefährlich sind. Schrecklich muss das sein. Er hat Angst um seine Leute und ich Arsch frag mich die ganze Zeit, ob das da Bautzner Senf oder die Penny Hausmarke auf seinem Hemd ist. Anstatt seine Weltsicht wirklich ernst zu nehmen, denke ich an die ganzen Statistiken und guten Erfahrungen, die ich mit Geflüchteten gemacht habe. Ich fühle mich schlecht weil ich anscheinend zu voreingenommen bin. Zum Glück redet er weiter:


Hans: „[…] es wird ja auch viel verschwiegen was die mit der Bevölkerung machen und das sie sich hinstellen und sagen „ihr deutschen Arschlöcher haut ab und so“. Das ist ja auch keen Zustand. Aber das wurde ja von Anfang an, von Merkel wurde das ja schon verkehrt angefangen.“


  • Ich: „Und wenn wir uns jetz die Flüchtlinge aus der Ukraine angucken? Wie sollte die Regierung dann damit umgehen? Gibt’s da n Unterschied zwischen denen die aus der Ukraine kommen und denen die schon davor die Jahre…“

Hans: „Zurückschicken. Gar nicht erst aufnehmen. Warum? Geh doch mal hin. Die fahn mitm Daimler, mitm größten dens gibt… die neusten Klamotten an, die besten… Lassen sich die dollsten Zähne machen… brauchen sie ja nicht bezahlen. Und dann fahn sie wieder nach Hause und wenn se wieder was brauchen kommn se wieder mitm Daimler hierher. Na Sage mal! So blöde kannma doch gar nich sein. Kassieren Geld, fahren zurück in die Ukraine, praktisch wie n Urlaub. Und wenns Geld alle is, kommen se wieder. Na sage mal!“


  • Ich: „Aber… am Anfang sind ja ganz viele gekommen. Es durften ja auch nur die Frauen und Kinder kommen, da mussten ja die Männer zurückbleiben. Meinst du das alle die gekommen sind viel Geld hatten oder sind es nur manche, die sehr viel Geld hatten und die halt auffallen?“

Hans: „Ja alle werden nicht viel Geld haben. Gucke mal… eigentlich ist die Ukraine ja keen reiches Land wenne das so siehst. Es ist zwar so n reiches Land, aber für die Bevölkerung selber isses ja keen reiches Land. Aber es gibt doch die, die sich alles leisten können. Und wenn die die bedürftig sind… hab ich nüscht dagegen. Würd ich sogar was spenden. Aber wenn die, die so viel haben hierherkommen und noch was kriegen… is doch kein Verhältnis, wa. Dis doch kein Verhältnis.“


Das etwas kein Verhältnis ist, sagt Hans oft. Dabei muss ich immer daran denken mit wieviel Geld und Waffen Deutschland in aller Welt tätig ist, mit wieviel Umweltzerstörung unser Land Klimaflucht erzeugt und verstärkt. Vor allem aber wieviel Möglichkeiten Deutschland hätte zu helfen. Aber sein: „Na sage mal!“. Das, ist mir wirklich ins Herz gegangen.

Wir reden darüber wie die Regierung mit Geflüchteten umgehen soll. Er sagt die werden einfach so vom Sozialstaat unterstützt „ohne das se een Pfennich… äh… also eene Mark verdient ham.“ Die dürfen ja nicht arbeiten mein ich daraufhin. Er meint das sei auch falsch, vielleicht wäre es ja langsam an der Zeit das sies dürften. Juhu, denk ich mir, ein gemeinsamer Nenner. Themawechsel.


  • Ich: „Aber woran liegt das? Woran liegt das, dass es in Deutschland so viele Probleme gibt? Weil eigentlich sind wir ein sehr reiches Land…“

Hans: „Warn wa…“


  • Ich: „Na Deutschland ist immer noch reich, ne. Es gibt sehr viele Millionäre, sehr viele Milliardäre. Die Bevölkerung kriegt nicht alles ab… natürlich nicht, n kleinen Teil. Aber wenn wir uns angucken, was Deutschland alles hat, sind wir sehr reich.“

Hans: „Ja… und wir konnten uns ja eigentlich och nich beschweren. Ich meine wir warn nich super reich aber wir ham nie jehungert.“


  • Ich: „Woran liegt es dann das Deutschland so viele Probleme hat?“

Hans: „na… jaa… die ham das… ich will jetzt nich sagen… böse Zungen behaupten, das ist alles gewollt, dass es Deutschland schlecht geht. Das ist alles gewollt und hat mit der Merkel angefangen.“


  • Ich: „Von wem gewollt?“

Hans: „Von wem gewollt? Ja äh… wie jesacht… angefangen hats bei Frau Merkel, die wollte das es Deutschland nich mehr gut geht. Die wollte das direkt.“


  • Ich: „Warum?“

Hans: „Na ja… wat … wat… wie kann die… sie hat nich mal Geld um die deutschen Kinder zu ernähren. Richtig. Und saacht „wir schaffen das schon“ und immer „kommt rein ohne Grenzkontrollen, kommt rein, kommt rein“. Ja sach mal. Das kann n Politiker, der ne Verantwortung für dis Land hat, der kann sowas nich sagen. Und die wollen sie ja jetzt vor Gericht stellen.“


  • Ich: „Wegen was?“

Hans: „Na wegen was!? Was die mitm deutschen Volk gemacht hat. Das ist doch, das ist hirnverbrannt. Als Bundeskanzlerin Deutschland so vorn Koffer zu fahn hier. Das ist doch nicht normal. Und was die Frau mit uns jemacht hat… vor allen Ding… das war ja nich so das die Bevölkerung das wollte was die gemacht hat hier. Die wollten das ja nicht. Die hat Geld ohne Ende. Da sollse doch was abgeben für de Ukraine und so. Die weß doch gar nich mitm Geld wohin.“


Ich meinte daraufhin Merkel sei 16 Jahre lang Kanzlerin gewesen, die Mehrheit
schien sie also zu wollen. Hans meint das liege an den Arbeitslosen. Die CDU hat Ihnen ein gutes Leben ohne Arbeit ermöglicht und aus Dank dafür wählen Sie die dann. Ich seufze beim Transkribieren. Ich suche nach Parallelen und gemeinsamen Zielen, doch gelange wieder einmal an diesen Punkt: What the fuck?
Ich wechsle das Thema.


  • Ich: „Wie würde denn eine gute Welt aussehen deiner Meinung nach? Das frag ich mich immer, wie sieht die perfekte Welt aus?“

Hans: „Wie meinstn das jetzt? Ich versteh n bisschen schlecht.“


  • Ich: „Ok… wir reden immer darüber wie schlecht alles is. Weil dis wichtig ist um zu wissen was scheiße läuft in der Welt. Aber so selten reden wir darüber, wie eine gute Welt aussehen müsste. Was es bräuchte damit alle Menschen glücklich sind.“

Hans: „Ja, da haste Recht. Aber äh, wie die aussehen soll? Da gibts schon Ansätze, aber… jetzt wirste vielleicht lachen. Ich war nie kirchlich oder so, aber jetzt gibt es viele Ansätze… Schon mal was von der geistigen Welt gehört? […] Das Materielle, wie wenn wir n Auto sehen oder so, das kannst du nicht mit
rüber nehmen. Und die sind alle der Meinung, wenn wir mal weg sind vom Fenster, also jestorbn sind, dann kommen wir in sone Welt wie wir sie uns vorstellen. […] Ich weiß nicht warum das so ist aber eins hab ich rausgekriecht: dass alle die glauben und nicht glauben, das wenn wir hier weg sind, das es uns dann besser geht. In der nächsten Welt.“


Seine Utopie ist das Jenseits! 

Mir ist die Lust am Diskutieren vergangen.
Wir fangen an über Corona zu reden. Über Inhalte an diesem Punkt ist Raum für Spekulation gegeben.
Themawechsel.


  • Ich: „Meinst du… um jetzt nochmal auf die Ukraine zurückzukehren… das wir in den nächsten Jahren auf n neuen Weltkrieg zusteuern?“

Hans: „Wenn ich unsere Politiker sehe, ja. Wie kann ich in die Ukraine so viel Militärausrüstung reinpumpen? Ich weiß warum sies machen, mehr Geld könn die gar nich verdienen. Verstehste? Die Rüstungsindustrie verdient sich zurzeit dumm und dämlich in Deutschland. Und deswegen schreien die immer: Mehr Panzer, mehr Raketen, Mehr Flugzeuge, immer raus, immer raus. Pöh, das muss ja bezahlt werden. […] das hat eigentlich mit den USA sehr viel zu tun. Und die sind ja jetzt wieder dicke da. Weil Amerika war ja, solange Amerika besteht… haben die nie Zuhause Krieg gemacht. Und die sind meistens, so wie in Deutschland, dazugekommen wenn sie gemerkt haben die jewinn. Für mich sind die Amis in der Beziehung Verbrecher. Weil, gucke mal… die haun jetzt alles durch. Auch Streubomben… das ist sooo was Schlimmes. Ja und jetzt machens die Amis und da sind die nicht mehr schlimm. Das ist doch nicht normal. Die ganze… die ganze… na… Mensch! Manchmal komm ich nicht… ich hab nämlich Schlaganfall gehabt und dann kann ich nämlich manchmal nicht… ich weiß was ich sagen will, es geht aber nicht!“


Ich habe Mitleid und Bedauern. Vor allem jetzt wo ich ihm zustimme. Das Gespräch neigt sich dem Ende zu, er erzählt mir beim Rausgehen noch wie die Ärzte im Krankenhaus versucht haben ihn umzubringen. Ich will nochmal den Abschluss mit der Kaiserreichsfahne in seinem Garten finden.


  • Ich: „Was hats eigentlich mit den Fahnen auf sich?“

Hans: „Ja, die Fahne war erst Protest… aaber ich habe dann viel im Internet gesehen das die Leute damals… das ist ja die Fahne vom Kaiserreich, das hat ja mit dem Nazi nüscht zu tun. Das ist keene Nazifahne. Ich meine die jungen Leute… ich finde das immer gut wenn die dann anhalten und sagen wasn das für Fahne? Das glaub ich das sie das nich wissen. Und dann sach ich, ich möchte den alten Kaiser wiederhaben. Jetzt sinngemäß, wa. Dis is nüscht mit Nazis und nüscht mit Deutschland…“


  • Ich: „Das heißt du findest die Demokratie auch nich so gut?“

Hans: „Na diese Demokratie. Und dann hab ich immer Sendungen jesehn… wo Leute die Ahnung ham, die stundenlang Sendungen dazumachen. Und die haben mich davon überzeugt, dass es den Leuten im Kaiserreich nicht schlecht gegangen is und das die Leute auch hinter dem Kaiser jestanden ham. Und da hab ich gesagt dis is doch mal ne richtige Fahne. Es ist eigentlich ne Art Protest aber wie gesagt ich find das gut weil der Kaiser war… der wird auch Scheiße gebaut haben, der ist Politiker… Politiker hauen immer was raus, ne.“



Wir enden an einem grünen Zweig. Er entschuldigt sich für seine dreckigen
Klamotten, er müsse gleich noch in den Pferdestall. Manchmal wünschte ich mir die Politik beiseitezulassen, nur einen Menschen dort vor mir zu sehen. Einen mit Bedürfnissen, Sorgen, Krankheiten und Träumen.
Na Sage Mal! Du wirst doch nicht etwa weich werden? Nein, nein. Meine letzten Gedanken kreisen um Afghanistan, Hoyerswerdaer, Hanau; um die Wahlergebnisse bei uns, zur Konferenz da und dann dem Widerstand dagegen.

Hans hat mich in sein Haus gelassen, hat mir noch viel Glück auf meinen weiteren Wegen gewünscht und sich nicht an meinen schwarzen Haaren und Augen gestört. Ich bin ihm dankbar für das Gespräch und hoffe das sein krankes Herz wieder gesund wird.